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Breinländ

CD-Kritiken

Jazzthetik

Guido Diesing

Der Zahnarzt im Müsli
Georg Breinschmid hat wieder mal durchgefegt und zusammengestellt, was sich bei ihm seit der letzten Doppel-CD so alles angesammelt hat. Dabei wird deutlich: Auch als Komponist gewinnt der Bassist immer mehr an Profil.

Breinländ ist eins dieser Alben geworden, auf denen alles passieren kann. Kein Konzeptalbum mit einem durchgängigen Thema oder einer festen Besetzung, sondern die Werkschau eines Musikers, der in seiner Vielseitigkeit und Originalität nicht zu fassen ist. Zwei CDs mit über zwei Stunden Spielzeit versammeln Dinge, die eigentlich nie und nimmer zusammenpassen und nur durch die künstlerische Persönlichkeit von Georg Breinschmid zusammengehalten werden – eine Arbeitsweise, die sich für den Österreicher seit vielen Jahren bewährt hat: „Es war mir immer wichtig, mich im künstlerischen Ausdruck nicht einschränken zu müssen und mich so breit wie möglich ausdrücken zu können. Das Ergebnis ist nicht leicht einzuordnen, aber es hat sich einfach als meine bevorzugte Methode herauskristallisiert.“

Da stehen nun also fein ausgearbeitete Kammermusikkompositionen und leicht anarchische Gedichtvertonungen neben lässig hingeworfenen, improvisiert wirkenden Miniaturen wie „Hunnenshlompsky goes for a walk“ oder „Maybe“, das eine tiefschürfende Frage stellt: „Was macht der Zahnarzt in meinem Müsli?“ Zahlreiche Fäden, mit denen die Vorgängeralben zusammengenäht waren, werden erneut aufgegriffen. Das ehemalige Mitglied der Wiener Philharmoniker bewegt sich zwischen Jazz und Klassik, Folklore und Lied und wechselt behände zwischen den Stilen und Stühlen. Einige Schwerpunkte haben sich verschoben: Anstelle von selbst geschriebenen Wienerliedern nehmen diesmal Texte fremder Autoren mehr Raum ein. Gleich acht Gedichte von Ernst Jandl hat Breinschmid für Stimme, Geige und Bass teils recht schräg vertont, ein weiterer vermeintlicher Jandl-Text („Gestern hats geschneiet“) entpuppt sich beim Blick ins Booklet völlig überraschend als Gedicht von Friedrich Rückert.

Mit dem Streicher-Trio First Strings On Mars gibt ein neues Ensemble seine Visitenkarte ab, und in der 20-minütigen „Carmen Fantasie“, die Tscho Theissing für ihn geschrieben hat, ist Breinschmid erstmals als Bass-Solist mit einem großen Orchester zu hören. In einem wunderbaren Moment unterläuft er darin beim bekannten Torero-Lied grandios die Erwartung von Bombast und Pathos und pfeift die Melodie freundlich und unprätentiös vor sich hin wie ein gut gelaunter Wanderer.

Vor allem aber zeigt das Doppelalbum neben dem virtuosen Bassisten auch den Komponisten Breinschmid. Zwei zentrale und mit jeweils knapp 15 Minuten ausgedehnte Stücke der ersten CD hat er im Auftrag von Kammerensembles geschrieben – eine Arbeit, die er sehr schätzt: „Komponieren ist das, was mich derzeit am meisten interessiert und herausfordert. Bis fast zu meinem 30. Lebensjahr habe ich gar nicht komponiert – dann ist es wie eine Lawine losgebrochen, als wollte ich nachholen, was ich vorher versäumt hatte“. Dass die Ausführenden in diesen Fällen größtenteils klassisch ausgebildete, zwar nicht improvisierende, aber technisch sehr versierte Musiker sind, kommt dem mittlerweile 45-Jährigen entgegen. Seine Stücke sind rhythmisch komplex und stilistisch vielfältig.

Auch seine eigenen technischen Fähigkeiten sind beeindruckend. „Am Kontrabass kann ich schon eine ganze Menge, weil ich das schon lange mache“, räumt er ohne jede Koketterie ein, „aber Virtuosität allein ist grundsätzlich uninteressant. Musik soll einen berühren, soll grooven, Tiefgang haben oder Humor oder was auch immer. Das Können sollte nur ein Mittel sein, um dorthin zu kommen. Ob mir das immer gelingt, sei dahingestellt.“ Den Humor wird Breinschmid niemand absprechen. Dass das Breinländ-Artwork an Terry Gilliams Monty Python-Animationen erinnert, passt bestens. Das gewitzte Spiel mit bekannten musikalischen Zitaten zieht sich seit langem durch Breinschmids Stücke. „Humor war immer ein wichtiger Bestandteil meines Lebens und folglich meiner Musik“, bestätigt er. „Humor und Tiefgang schließen einander aber nicht aus. Wichtig ist, dass es nicht billig und anbiedernd wird. Die künstlerische Qualität muss unverändert bestehen bleiben.“

Am Ende ist Breinländ als Sammlung einfach bunt und vielfältig, auch was die beteiligten Musiker betrifft. „Es gibt viele Besetzungen, mit denen ich spiele und für die ich schreibe, das macht es logistisch etwas schwierig, wenn man nicht eine, sondern vielleicht acht Hauptbands hat“, sagt er und lacht. „Aber es wäre anstrengender, mich auf eine Sache reduzieren zu müssen. Ich habe einfach das Glück, extrem tolle Musikerkollegen zu haben“. Einer, der diesmal nicht dabei ist, ist der Trompeter Thomas Gansch, sonst einer der engsten und liebsten Kollegen Breinschmids. Sein Fehlen hat den guten Grund, dass das Duo Gansch/Breinschmid schon bald auf einer eigenen neuen CD mit dem Besten aus zwei Livemitschnitten aus dem Wiener Konzerthaus zu hören sein wird. Wie eng die beiden zusammenarbeiten, kann man am CD-Titel ablesen: Bransch. Die offene Frage nach dem Zahnarzt im Müsli wird allerdings auch dort nicht geklärt.

Jazzpodium

Georg Breinschmid hat seine Kreativ-Werkstatt erneut weit geöffnet. Der bei den Wiener Philharmonikern ebenso wie dem Vienna Art Orchestra gestählte Bassist bietet auf einer Doppel-CD sowie einer Live-Einspielung mit seinem musikalischen Partner Thomas Gansch Einblick, was passiert, wenn man nicht nur virtuos Kontrabass und akustische Bassgitarre spielt, sondern auch mit viel Esprit unterwegs ist zwischen Jazz, Musikkabarett und Klassik. Mit „Breinländ“ serviert Breinschmid eine genialische Mixtur, die österreichische Volksmusik genauso verarbeitet wie freakige Ernst Jandl-Vertonungen, Klassik, zeitgenössische Töne und jede Menge Augenzwinkern. Die Orchestration ist ebenso bunt und schillernd, reicht von der selbstgepfiffenen Bass-Begleitung über kammermusikalische Ensembles bis hin zum wuchtigen Orchesterapparat, der hinter Breinschmid bei seiner mit halsbrecherischen lmprovisationen gespickten Sicht der Carmen-Suite von Georges Bizet wirkt.

Hallo Tulln

Der wache Geist des virtuosen Bassisten ist beständig umtriebig und so kommen schnell mal 23 neue Einspielungen zusammen. Irrwitzige Läufe, amüsante Interpretationen, Vertonungen von Jandl oder Rückert samt Auftragswerken. Der Mann kennt kein Korsett in jeglicher Form. Ein Umstand, der dankenswert oft Könner dieser Klasse auszeichnet.

Film & Sound Media

Die Doppel- CD „Breinländ“ macht mit ihren 23 Tracks auf beeindruckende Weise hör- bar, was der Bassist Georg Breinschmid die ganze Zeit über so macht: Komponieren, Arrangieren, Austüfteln, Netzwerken, Aufnehmen, Probieren, Herumfeilen, Dichten, Auskundschaften und das nächste Projekt in Angriff nehmen. Darum kommt „Brein-länd“ mit prall gefüllten Taschen daher: Vertonungen von Jandl und Rückert, Auf- tragswerke von Festivals, Breinschmid Solo, im Duo, im Trio und Quartett sowie Jaz- ziges, Balkanesisches, selbst Gedichtetes und eine unveröffentlichte Kostbarkeit von Aufnahmen zu einer früheren CD-Produktion. Dieser Mann hat eine übersprudelnde Fantasie, musikalisches Können, ein großes Netzwerk an Gleichgesinnten und ist ein Garant für unvergessliche Konzertabende. Diese neue, auch so fantasievoll gestaltete Doppel-CD ist quasi ein„must have“ für den Herbst 2018.

Kulturzeitschrift Vorarlberg

Peter Füssl

Wäre Breinländ ein realer Staat, würden wohl die Massen der Von-Türkis-Blau-die-Nase-aber-so-was-von-voll-Habenden dort unverzüglich um Asyl ansuchen, denn Breinländ ist so kunterbunt wie sein Cover, und Phantasie, Kreativität und Individualismus sind keine Einreisehindernisse, sondern geradezu Voraussetzungen für die Aufnahme. Darauf lassen zumindest die auf zwei CDs mit mehr als zwei Stunden Spielzeit verteilten 23 Stücke schließen, die Georg Breinschmid nun in Nachfolge der beiden Doppler „Double Brein“ (2014) und “ Bonus CD (Old & New Stuff)“ (2016) vorgelegt hat. Tatsächlich ist es ein Riesenspaß, sich im Zweijahresrhythmus den Überblick des stets von genialen Wahnsinnsschüben gebeutelten Kontrabassisten, Kompositeurs und Wortakorbaten zu verschaffen. Sich auf eine Band, ein Projekt zu konzentrieren, schafft der vielseitig Interessierte ohnehin längst nicht mehr. So tummeln sich auf „Breinländ“ wieder gute alte Bekannte wie der kongeniale Geiger Benjamin Schmid oder die Vokalistin Agnes Heginger, es gibt aber auch bislang Ungehörtes. Beispielsweise acht von Breinschmid vertonte Ernst Jandl-Gedichte, die teils von Heginger, großteils aber von Filippa Gojo der schrägen Genialität ihres Schöpfers treffsicher entsprechend interpretiert werden. Zweihundert Jahre älter ist ein Gedicht des Sprachgenies Friedrich Rückert, dem Cornelius Obonya seine Stimme leiht. Statt mit Wörtern mit Tönen virtuos umzugehen, versteht Breinschmids neues Trio „First Strings On Mars“ mit den beiden Geigern Florian Willeitner und Igmar Jenner. Deren Musik ist wie Breinschmids gesamtes Ouevre im Spannungsfeld von Jazz, Klassik, Balkanfolklore und Wiener Kaffeehausmusik angelegt und von solch beschwingter Virtuosität, hemmungsloser Dramatik und opulenter Schönheit, dass es fast schon weh täte, würde man sich nicht so amüsieren. Seine kompositorische Unverwechelbarkeit beweist Breinschmid mit den beiden für Musikerkollegen geschriebenen Auftragswerken „Freedom“ und „Coincidance“ – die jeweils gute 14 Minuten lang sind. Ob in ganz großem Stil – Tscho Theissing hat dem wendigen Kontrabassisten eine Bizet-Adaption auf den Leib geschrieben, die mit dem Brünner Symphonieorchester Moravia Virtuosi realisiert wurde – oder solo, kaum jemand versteht es so brillant, meisterhaftes Können, Originalität und Witz in perfekten Einklang zu bringen wie Georg Breinschmid. Wäre Breinländ ein realer Staat…

Crescendo / HIFI Records

Attila Csampai

Während andere in Europa die Zäune wieder hochziehen, setzt der Wiener Kontrabass-Virtuose, Komponist, Sänger und Texter Georg Breinschmid seine grenzensprengende musikalische Offensive unbeirrt fort: auf „Breinländ“ hat er wieder den gesamten österreichischen Jazz-Adel, darunter Topgeiger wie Benjamin Schmid und Florian Willeitner oder den Klarinettisten Matthias Schorn versammelt und unternimmt mit ihnen eine besinnliche Traumreise durch die subversive Poetik Ernst Jandls, die er sehr feinfühlig-dezent vertont und mit eigenen Wienerliedern angereichert hat. Dazwischen gibt es mitreißende, knackig groovende Kostproben seiner faszinierenden Finger-Akrobatik im Wechsel von Kontrabass und Bassgitarre, stets unplugged und trocken fokussiert, und als seriösen Hauptgang eine 20-minütige magisch-dunkle Kontrabass-Fantasie über Bizets „Carmen“, gespickt mit allerlei Nebengedanken eines Jazzbassisten. Breinschmid hat auch das Pfeifen wiederentdeckt und mit der Solonummer „Hunnenshlompsky goes for a walk“ sogar einen hitverdächtigen Ohrwurm kreiert. Dies ist womöglich die munterste, leichteste Lebensform, um Ängste zu verscheuchen, sie verleiht der Melange ansteckende Heilkräfte.

Jazzthing

Hans-Jürgen Schaal

Er hat wieder zugeschlagen: Georg Breinschmid, der Supervirtuose an Kontrabass und akustischer Bassgitarre, gleichzeitig Kunstpfeifer, Sänger und eine Art Jazzkabarettist im Wiener Stil. Die mehr als zwei Stunden seines aktuellen Doppelalbums sind randvoll gefüllt mit neuen musikantischen Sahnestückchen, mit grotesken Emst Jandl Vertonungen, mit ironisch-ambitionierten lnstrumentalwerken und mit alIerlei anderen brillant-humorigen Verwurs tungen von Wiener Klassik, Wiener Walzer, Wiener Brettl, Wiener Tzigan und Wiener ]azz. Breinschmid, ehemals Mitglied der Wiener Philharmoniker und des Vienna Art Orchestras, bekommt auch diesmal Unterstützung von vielen Gleichgesinnten der Szene – darunter Florian Willeitner aus Niederbayern an Violine und Klavier und die beiden Sängerinnen Filippa Gojo und Agnes Heginger. Die Besetzungen wechseln ständig, die ldeen sprudeln nur so heraus, es vermischen sich Klassik und Dada, Jazz und Schmäh. Immer noch, immer wieder: ansteckend.